Logo des Netzwerks "Ankommen" (Foto: SR)

Saarbrücken: Flexible Flüchtlingshilfe im Netzwerk

Christian Schwarz   02.09.2015 | 14:23 Uhr

Flüchtlingshilfe muss praktisch sein. Das zeigen die Mitglieder des „Netzwerks Ankommen“ in Saarbrücken bei ihrer Arbeit. Dabei sind neben Hilfsbereitschaft auch Flexibilität und gute Ideen gefragt. So wie im Fall eines jungen Mannes, der aus Syrien ins Saarland geflüchtet ist.

Vergangenen Freitag in Saarbrücken. Jamer sitzt mit uns vor einem Café am St. Johanner Markt. Er strahlt, freut sich merklich. Der Grund: Morgen wird er seine Familie wieder sehen – nach 13 Monate langem Warten. Das Datum hat der junge Syrer sofort parat. Am 28.7.2014 hat er seine Frau und seine inzwischen dreijährige Tochter das letzte Mal im Arm gehabt, seinen zehnmonatigen Sohn sieht er morgen zum ersten Mal überhaupt. Damals, vor 13 Monaten, trennten sich die Wege von Jamer und seiner Familie in der Türkei, wo sie nach der Flucht vor dem Krieg in ihrer syrischen Heimat etwa ein Jahr gelebt hatten.

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Im Café mit Michael, Sami, Regine, Lume und Jamer

Jamer, ursprünglich aus Damaskus, arbeitete dort auf dem Bau und konnte damit seine kleine Familie mit dem Nötigsten versorgen. Doch dann wurde er krank, konnte nicht mehr arbeiten und beschloss, sich nach Deutschland durchzuschlagen, wo ein guter Freund von ihm bereits lebte. Die Reiseroute erklärt der 28-Jährige mir selbst, obwohl wir auch einen Dolmetscher am Tisch sitzen haben: Mit dem Flugzeug von der Türkei aus nach Algerien, eine Autofahrt nach Libyen, wo er, kaum angekommen, erneut in einem Krieg landete. Dann weiter mit dem Schiff nach Italien, von wo aus er per Zug über Mailand und München nach 16 Tagen Odyssee schließlich im Saarland landete.

Arbeitsgemeinschaften für Flüchtlinge im Netzwerk

Mit mir am Tisch sitzen außer Jamer auch Michael, Regine und Lume, Mitglieder des Projekts „Ankommen – Netzwerk für Flüchtlinge“ in Saarbrücken. Lume hat außerdem noch Sami mitgebracht, „ihren persönlichen Dolmetscher“, erzählt sie mit einem Augenzwinkern. Kennengelernt hat sie den 23-jährigen Jemeniten, als dieser vor knapp fünf Jahren zum Biomedizintechnikstudium nach Saarbrücken gekommen war. Heute hilft er immer wieder mal aus, wenn ein Dolmetscher mit Arabischkenntnissen gebraucht wird. Und das ist im Netzwerk nicht selten der Fall. Denn dort gibt es nicht nur Arbeitsgemeinschaften für Flüchtlinge in den Bereichen „Sprachkurse“, „praktische Hilfe“, „Wohnungssuche“, „Sport“ und „Freizeit und Kultur“. Oftmals ergeben sich auch Situationen, wo schnelle Hilfe und ein Übersetzer gefragt sind.

Die Familie sitzt in der Türkei fest

So auch im Fall von Jamer. Michael hat ihn vor wenigen Wochen in einem Wohnheim in Dudweiler kennengelernt, als er Geschirr für die dort untergebrachten Flüchtlinge vorbei brachte. In der Küche kam man ins Gespräch, Michael erfuhr zunächst davon, dass Jamer sich schwer tat, eine eigene Wohnung zu finden. Das Problem ist inzwischen gelöst, am Morgen hat der 28-Jährige den Schlüssel für eine Wohnung im Saarbrücker Stadtteil Malstatt in Empfang genommen. Was fehlt, ist noch seine Familie.

Die saß in den vergangenen Wochen in der Türkei fest, obwohl sie bereits Visa für Deutschland hat. Vor rund zehn Tagen sollten sie dann kommen, doch die Behörden am Flughafen in Adana ließen sie nicht ins Flugzeug. Das Problem: Eine türkische „Reisegenehmigung“ habe gefehlt, erklärt mir Lume. Die Folge: Die Familie musste vorerst bleiben, Geld für neue Tickets war nicht mehr da, obwohl die „Reisegenehmigung“ inzwischen ebenfalls vorhanden war.

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Jamer bekommt von Lume die Flugtickets für seine Familie überreicht

An diesem Punkt kamen Michael, Regine und Lume wieder ins Spiel. In ihrem Bekanntenkreis starteten sie einen Aufruf, sammelten Spenden und Darlehen. Auch aus dem Netzwerk haben sich einige beteiligt. „Das ist bei uns oft so“, beschreiben sie mir, „wenn jemand von uns Hilfe braucht, tauschen wir uns über Mail aus. Dann ergibt oft eins das andere, weil immer jemand jemanden kennt, der helfen kann und will.“ Jeder nutzt seine Kontakte im privaten und beruflichen Umfeld – ohne bürokratische Stolpersteine. Ein weiteres Beispiel: Als eine Bekannte von Lume anruft, die in einem saarländischen Clearinghaus arbeitet, kommt sofort die Frage: „Was brauchst du?“ Lume notiert sich die benötigten Gegenstände, das Netzwerk wird wieder aktiviert.

Patenschaften für Flüchtlinge

Eine weitere Möglichkeit zu Helfen sind Patenschaften für Flüchtlinge, die vom Netzwerk vermittelt werden. So war es beispielsweise bei Regine, die im vergangenen Jahr aus der Eifel ins Saarland gezogen war und sich seit November mindestens einmal wöchentlich mit einem 26-jährigen Syrer trifft, ihm mit Rat und Tat zur Seite steht. Aktuell absolviert er noch einen Integrationskurs, will aber so schnell wie möglich arbeiten, auch wenn sein Fachabitur aus Syrien hier nur als Realschulabschluss anerkannt wird. Dennoch hat er bereits einen Praktikumsplatz gefunden. Der „Sprung ins kalte Wasser“ für den sonst eher zurückhaltenden Flüchtling.

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Ein Bild vom nächsten Tag: Jamer und seine Tochter sind wieder vereint

Doch zurück zu Jamer und seiner Familie in der Türkei. Die Tickets haben die drei Flüchtlingshelfer mitgebracht. Bereits einen Tag später soll seine Familie in Frankfurt landen, mit Jamer dann in die neue Wohnung in Malstatt einziehen. Doch Bedarf ist nach wie vor da, schließlich muss auch die Wohnung eingerichtet werden. Bisher besitzt Jamer lediglich eine Matratze und ein wenig Geschirr und Besteck. Auch hier will das Netzwerk helfen, Sachspenden wie Decken oder Möbel organisieren. Und dann braucht Jamer ja auch noch Zugtickets, um seine Familie am Frankfurter Flughafen abzuholen und nach Saarbrücken zu bringen. Einen günstigen Tarif hat er sich schon rausgesucht. Buchen will er aber erst, wenn das Flugzeug inklusive seiner Familie, die er über ein Jahr nicht gesehen hat, in der Luft ist. Nicht, dass am Ende doch wieder eine „Reisegenehmigung“ fehlt, sagt er mit einem verschmitzten Grinsen.

Glücklicher Ausgang

Am Samstag meldet sich Jamer bei mir: Die Familienzusammenführung hat geklappt. Am Morgen hat er seine Frau und Kinder am Flughafen in Frankfurt glücklich in Empfang genommen.

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